Rückenmarksstimulatoren ermöglichen Querschnittsgelähmten das Gehen

von Robert A. Gebhardt 13. Januar 2020

Gezielte elektrische Rückenmarkstimulationen - ein Durchbruch in der Medizintechnik, der Querschnittsgelähmten auf die Beine hilft. Versuchsreichen aus den USA zeigen erste Erfolge Patienten wieder zu eigenständigen Schritten zu verhelfen.

Das Gehen ist für die Mehrzahl der Menschen eine Selbstverständlichkeit, über welche wir so gut wie nie nachdenken. Das gilt auch für Rennen, Joggen, zügigen Laufen, Wandern, Schwimmen, Radfahren, Springen oder einfach das morgendliche Aufstehen aus dem Bett. Wir verdanken diese Fähigkeit unserem Gehirn und einem intakten Rückenmark welche in Zusammenarbeit zu der Stimulation der Muskeln in den Beinen zu diesen Bewegungen führt. Das Hirn sendet dem menschlichen Körper Signale über das Rückenmark, welche anschließend Befehle an die jeweiligen Muskelgruppen weiterleiten. Diesen automatischen Prozess trainieren Säuglinge bereits im Mutterleib, indem sie sich dort strecken oder abwechselnd mit ihren Gliedmaßen die dunkle Umgebung im Bauchraum erkunden. Gynäkologen führen heutzutage vorgeburtliche Untersuchungen durch, um festzustellen, ob sich der Rücken des Fötus während der Zellteilung normal entwickelt hat und geschlossen ist. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, steigt die Wahrscheinlichkeit einer eingeschränkten Geh- und Bewegungsfähigkeit. Der Grad dieser Einschränkung ist jedoch von der exakten Stelle des nicht intakten Rückenmarks abhängig. Sollten die unteren Wirbel in der Nähe des Steißbeins eine Öffnung aufweisen, wird das Baby mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ganz normal in der Lage sein zu gehen. Sollte jedoch der Bereich der oberen Halswirbel nicht geschlossen sein, ist die Gefahr einer kompletten Querschnittslähmung sehr wahrscheinlich.

Dieses Prinzip lässt sich auch bei Querschnittsgelähmten nach einem Unfall feststellen. Es kommt immer darauf an, an welcher Stelle das Rückenmark verletzt worden ist. Diejenigen, die nach einem erlittenen Unglück immer noch ihre Zehen spüren, haben laut Medizinern, keinen kompletten Rückenmarksschaden erlitten, sie weisen noch ausreichend intakte Wirbel auf welche die vom Gehirn versendeten Signale entsprechen gut weiterleiten. Patienten, die ihre Gliedmaßen nicht mehr bewegen können und auch kein Gefühl in den Zehen oder Beinen verspüren, haben in den meisten Fällen eine schwere Rückenmarksverletzung und daher eher geringe Aussichten jemals wieder normal Gehen zu können. Ein Zustand der mit erheblichen Einschränkungen und Veränderungen für die betreffenden Personen verbunden ist.

Medizinforscher beschäftigen sich seit Jahren mit der intakten Kommunikation zwischen Gehirns, Rückenmark und Beinen. Die anatomische Theorie ist bekannt, allerdings stehen erfolgreichen Therapien bei Betroffenen immer noch zahlreiche Umsetzungshürden in der Realität gegenüber. In jüngster Vergangenheit hat die Medizintechnik jedoch Produkte hervorgebracht, die schon jetzt als vielversprechend und wegweisend betrachtet werden können. Dies gibt Patienten und Ärzten neue Hoffnung doch irgendwann zum ersten Mal oder erneut wieder gehen zu können.

Rückenmarksimulatoren fungieren als neue Hoffnungsträger bei der Behandlung einer Querschnittslähmung

Erfindungsreiche Forscher haben bei der elektrischen Stimulation des Rückenmarks einen regelrechten Durchbruch erzielt und somit einen wichtigen Schritt bei der Behandlung von Querschnittslähmung erzielt. Kritiker warnen jedoch zu Recht vor einer verfrühten Euphorie. Die Entwicklung stecke noch tief in den Kinderschuhen und wird noch viel Zeit, Entwicklung und Tests durchlaufen müssen bevor der Öffentlichkeit diese Behandlungsmethodik zugänglich gemacht werden könnte. Dennoch ist das innovative Verfahren ein großer Erfolg, der zukünftige Produkte auf den Weg bringen könnte, welche betroffenen von sich aus das gehen ermöglichen könnte.

Betrachtet man zum Beispiel die Geschichte des Herzschrittmachers, hat dieses Produkte eine ähnliche Entwicklungsreise durchlebt. Ein Gerät aus der Schuhcremedose verhilft heute Millionen von Menschen zu einem besseren Leben. Die Funktionsweise die auch hier mit elektrischer Stimulation begonnen hat zeigt welche Entwicklung ein Produkt teilweise bis zur Marktreife durchlaufen muss. Der Herzschrittmacher gehört definitiv zu den modernen Wundern unserer Zeit und ist weltweit nahezu ein Routineeingriff für die Patienten geworden.

Rückenmarksimulatoren könnten irgendwann denselben Status wie ein Herzschrittmacher erreichen und zum alltäglichen Gesundheitsbild gehören. Zurück im hier und jetzt haben drei Patienten mit Querschnittslähmung bereits erste, wichtige Erfolge mit dieser Behandlung erreichen können. Mit Hilfe eines Rückenmark Stimulationsgerätes waren erste eigenständig, wenn auch vorsichtige Schritte möglich.

Welche Art der Rückenmarksverletzung spricht am besten auf dieses Verfahren an?

Bei einer Querschnittslähmung verhindert eine Rückenmarkschädigung im oberen und/oder unteren Bereich der Wirbelsäule, das erfolgreiche Weiterleiten elektrischer Hirnsignale an die Beine. Der Therapieansatz, eine elektrische Stimulation welche mit Elektroden die geschädigte Stelle überbrücken und somit die Signale an ihr Ziel weiterleiten. Aktuell funktioniert diese Art der Therapie bisher ausschließlich bei Betroffenen, deren Rückenmark nicht komplett durchgetrennt worden ist und noch ein Gefühl in ihren Beinen spüren. Es wird fieberhaft an einer Lösung geforscht bei der auch defekte Nervenleitungen aktiv angesprochen und stimuliert werden. Diese defekten Nervenzellen sollen, so das Ziel, wieder aktiviert und regeneriert werden. Die Forscher setzen hierbei auf eine tiefe Neurostimulatoren, die allerdings auch Gefahren der Verbrennung mit sich bringt. Es muss stets ein ausreichender Abstand zu der verletzen Rückenmarkstellen gehalten werden, da sonst weitere Verletzungen durch unbeabsichtigte Hitzeentwicklung drohen und die Situation für die Patienten verschlechtert. Patienten mit einer Rückenmarksverletzungen auf Höhe des oberen Brustbeins zeigten bisher in verschiedenen Testreihen, die besten Ergebnisse. Elektroimpulse wurden über das Medizinprodukt gesendet und tatsächlich von vereinzelten Beinmuskeln empfangen was zu ersten vorsichtigen Schritten auf den eigenen Beinen führte. Ein großer Erfolg! Herausfordernd war und bleibt das richtige Frequenzmuster der elektrischen Ströme für die Stimulation und Übertragung zu finden. Ein gleichbleibendes stabiles Muster allein konnte allerdings den gewünschten Zweck nicht erfüllen. Die Lösung lag in der Kombination zweier verschiedener Stimulationsmuster miteinander, nur so funktionierte die Übertragung an die Beine erfolgreich. Mit viel Übung und Geduld waren die Patienten schon nach einigen Wochen in der Lage eigenständige, Schritte zu tun und ihren Alltag wieder stehend zu begegnen.

Trotz dieser vielversprechenden Erfolge, sei die Therapie bisher noch in der absoluten Erprobungsphase. Ziel sei es die Nervenfasern langfristig nachwachsen zu lassen und ein eigenständiges Gehen ohne externe Stimulation durch eine Art Medizinprodukt zu ermöglichen. Bisher ist dieser Weg aber noch weit, Nervenzellen so zu stimulieren, dass sie sich selbst reproduzieren und verbinden ist aktuell noch nicht möglich. Die Rückenmarksnerven können sich, anders als die menschliche Leber oder der Haut, weder von alleine noch mit einer externen Hilfe regenerieren.

Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass diese Methode gerade bei Patienten erfolgversprechende Anwendung finden könnte, die durch einen Unfall oder von Geburt an gelähmt sind. Solange diese Patienten zumindest teilweise funktionierende und verbundene Nervenstränge aufweisen, welche die elektrischen Impulse weiterleiten könnten, wäre eine Therapie denkbar. Wichtig ist, dass die Verletzung im oberen Rückenmarksbereich vorhanden ist, sei es von Geburt an oder durch einen Unfall. Bei der sogenannten Spina Bifida, einer Spaltbildungen der Wirbelsäule von Geburt an, die ebenfalls den oberen Rückenmarksteil abdecken kann, konnten bislang noch keine Erfolge mit dieser Therapie aufgewiesen werden. Bei Spina Bifida handelt es sich umgangssprachlich um einen offenen Rücken, bei der die Wirbel unnatürlich große Spalten, sogenannte Spaltwirbel aufweisen und somit die direkte Verbindung des Rückenmarks und der darin befindlichen Nerven verhindern. Dieser Defekt geht auf eine Entwicklungsstörung im Mutterleib zurück, welche unterschiedliche Ursachen haben kann. Frauenärzte rate ihren Patientinnen, unter anderem zur Einnahme von Folsäure, welche diese Erkrankung verhindern kann.

Versuchsreihen in den USA ebenfalls nur teilweise erfolgreich.

In Louisville, der größten Stadt im US-amerikanischen Bundesstaat Kentucky haben die beiden Neurologinnen Claudia Angeli und Susan Harkema sich dem Thema der Rückenmarksstimulation verschrieben und eigene Versuche mit Freiwilligen durchgeführt. Diese insgesamt vier Probanden wurden ebenfalls mit elektrischen Frequenzen behandelt, welche das Rückenmark stimulieren sollte. Das sehr intensives Trainingsprogramm wurde von allen vieren durchlaufen und verlief über mehrere Monate mit unterschiedlichen Behandlungszyklen. Auch hier gelang den Teilnehmern mit viel Übung und Einsatz wieder das eigenständige Stehen. Das aktive gehen ohne Hilfe dritter gelang allerdings nur zwei der vier Studienteilnehmer. Diese Patienten hatten schon vor der Behandlung noch leichte Berührungsempfindung Zehen und Beinen verspürt. Von diesen beiden wiederum fiel einer besonders auf, es gelang ihm eigenständig, ohne Hilfe oder Hilfsmittel, nach dem Training unglaubliche 90 Meter zu Fuß zurückzulegte. Aber auch die übrigen drei Teilnehmer zeigten erstaunliche Fortschritte und konnten nach 15 Wochen hartem Training wieder mit einem Rollator eigenständig laufen.

Weitere Studiengruppen im Anschluss zeigten, dass durch das intensive Training mit dem elektrischen Stimulationsgerät, Wegstrecken von bis zu 100 Metern auch von anderen Probanden eigenständig zurückgelegt werden konnten.

Die Nerven müssen trotzdem erst nachwachsen!

Optimisten sehen diesen Fortschritt als einen wertvollen Ansatz, in die richtige Richtung. Ärzte, die sich intensiv mit dieser Thematik befassen, betonen aber die absolute Notwendigkeit einer Kombination aus verschiedenen Therapien, die als Ganzes zum Erfolg führen könnten. In den Vordergrund stellt die Erforschung allerdings immer noch die Tatsache, dass die zerstörten oder getrennten Nervenfasern nachwachsen müssen. Ohne die entsprechenden Verbindungen zwischen Gehirn und Beinen, wird die Technik alleine nicht ausreichen ein zufrieden stellendes Ergebnis für die Patienten zu liefern. Auf diesem Feld, zeigen verschiedene Tierversuche erste Erfolge bei kleinsten Säugetieren, hier wuchsen die Fasern unter Laborbedingungen nach. Allerdings sind diese Therapien bisher noch nicht komplett auf den Menschen übertragbar. Nichtsdestotrotz, könnte ein möglicher Weg die Behandlung mit Stammzellen Material sein. Stammzellenbehandlungen, vornehmlich im Kniebereich, finden heute schon in verschiedenen Ländern erfolgreich statt. Hierbei werden Verletzungen im Knie mit Stammzellen behandelt um das Nachwachsen der körpereigenen Zellen zu fördern.

Der Zeitpunkt der Therapie ist essentiell entscheidend für Erfolg oder Misserfolg.

Neurochirurgische Experten wie Frau Prof. Dr. Jocelyne Bloch von der Uni-Klinik Lausanne in der Schweiz, betont, dass ein weiterer Faktor bei der Therapie am Rückenmark ebenfalls ausschlaggebend ist, der Zeitpunkt des Unfalls. Patienten, die unmittelbar nach der Rückenmarksverletzung mit der Elektrotherapie begonnen haben, verzeichneten stärkere Erfolge als Betroffene, deren Unfall mehrere Jahre zurückliege. Sie führt diese Auffälligkeit auf die noch vorhandenen Nervenverknüpfungen des Gehirns der Patienten zurück. Das Gehirn kann sich umgangssprachlich noch daran erinnern wie die Bewegungsabläufe für die motorische Bewegung der Beine von statten geht. Anders ausgedrückt, die Nervenbahnen und -verknüpfungen werden vom Gehirn weiterhin angesprochen, lediglich die Weiterleitung durch das Rückenmark ist blockiert. Liegt der Unfall oder die Verletzung längere Zeit zurück, verkümmern die nicht genutzten Nervenenden, welche für die Beinmechanik verantwortlich sind und das Gehirn hat vergessen wie man geht oder läuft. Das erneute erlernen, fällt um so schwerer, je länger die Nervenenden im Rückenmark getrennt sind.

Fazit:

Abschließend betrachtet, kann man sagen, dass es Therapien in der Medizintechnik gibt, die eine Verbesserung bei Querschnittslähmung versprechen, allerdings kommt es auf unterschiedliche, begünstigende Faktoren an, die ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg sein können. Hierzu zählen zum einen natürlich die eigentliche Stärke der Schädigung, der Zeitpunkt der vergangenen Rückenmarksverletzung, die genaue Position der Verletzung und endgültig auch das Ansprechen auf die elektrischen Frequenzen. Es ist noch zu früh um von einem klaren Durchbruch zu sprechen, aber ein Fortschritt der Medizintechnik ist durchaus deutlich erkennbar. Die Methoden sind zwar immer noch stark experimentell und auch daher nicht als Behandlung im eigentlichen Sinne zu betrachten, aber es bleibt die Hoffnung, dass das die Forschung in der Zukunft Betroffene wieder zum eigenständigen Stehen, Laufen, Gehen, Treppensteigen und Rennen verhelfen kann.

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